Unternehmen müssen derzeit gleichzeitig zwei große Transformationsaufgaben zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit durchführen. Während die Notwendigkeit der Digitalisierung kaum in Frage gestellt wird, verhält sich dies mit der nachhaltigen Transformation anders. Im Sustainable Economy Barometer ist weniger als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass eine Nachhaltigkeitsstrategie wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit ist (Civey 2023). Nachhaltigkeit wird so erfahrungsgemäß eher zur Erfüllung von Auflagen und weniger zur strategischen Weiterentwicklung betrachtet.
Die Auswirkungen des Klimawandels, die Verknappung natürlicher Ressourcen und die steigenden Erwartungen der Verbraucher führen allerdings dazu, dass Unternehmen ihre Geschäftspraktiken überdenken und nachhaltige Lösungen implementieren müssen. Dies umfasst die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, den Einsatz erneuerbarer Energien, die Förderung von Kreislaufwirtschaft und die Verbesserung der sozialen Standards in Lieferketten. Durch internationale Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft kommt es zu stärkerer Regulierung. Auf EU-Ebene finden sich höhere Anforderungen an Produkte und Services (European Green Deal, Ökodesign-Verordnung, Right-to-Repair etc.) oder Berichtspflichten für Unternehmen (NFRD bzw. CSRD, LkSG / CSDDD etc.1). Treiber der nachhaltigen Transformation sind aber auch die jüngeren Generationen sowie Geschäftspartner (Bertelsmann 2024). So finden es mehr als zwei von drei deutschen Arbeitskräften wichtig, dass ihr Arbeitgeber nachhaltig handelt (Stepstone 2023).
Unternehmen müssen einerseits in Technologien wie Cloud Computing, künstliche Intelligenz, Big Data-Analysen oder das Internet der Dinge investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Allerdings ist eine digitale Transformation nicht nur eine Weiterentwicklung von IT und Effizienzerhöhung. Vielmehr gilt es, das Wertversprechen zu überprüfen oder vollständig neu zu entwickeln (Wessel et al. 2020).
Besonders die Vielfalt an Digitalisierungsoptionen sowie der Umfang in allen drei Säulen der Nachhaltigkeit (ökonomisch, ökologisch und sozial) sind herausfordernd. Deutlich wird dies in dem Fachbegriff der "Twin Transformation". Diese vereint digitale und nachhaltige Bemühungen, um langfristigen Erfolg zu gewährleisten und einen positiven Einfluss auf Gesellschaft und Umwelt auszuüben. Obwohl die digitale und nachhaltige Transformation voneinander unabhängig scheinen, gibt es zahlreiche Synergien zwischen ihnen. Verbindungen finden sich unter anderem in Green-IT Initiativen, dem datengetriebenen Energiemanagement zur Verringerung des Energieverbrauchs oder der Unterstützung des Nachhaltigkeitsberichtswesens. Allerdings ist die Twin Transformation weniger die Durchführung einzelner Maßnahmen, sondern vielmehr eine ganzheitliche Aufgabe, die zur Hebung von Synergien in Unternehmen und Lieferketten führen kann (vgl. Hinsen et al. 2023).
Der überwiegende Anteil von Unternehmen schätzt die Auswirkungen digitaler Technologien für die ökologische Nachhaltigkeit als positiv oder sehr positiv ein (Bundesnetzagentur 2023). Laut einer aktuellen Studie des Bitkom kann durch verstärkte Digitalisierungsanstrengungen der CO2-Ausstoß in Deutschland bis 2030 um 73 Mio. t gesenkt werden (Bitkom 2024). Hier wird also ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen beiden Transformationen erkannt. Unternehmen wie Patagonia setzen auf aktuelle Technologien, um die Herkunft ihrer Produkte nachzuverfolgen und sicherzustellen, dass sie ethisch und nachhaltig hergestellt werden (Patagonia 2024).
Allerdings können digitale Lösungen auch zu einem erhöhten Energieverbrauch führen, was den ökologischen Fußabdruck negativ beeinflusst. So führt aktuell beispielsweise die Nutzung von generativen Modellen künstlicher Intelligenz zu einem Anstieg des Energieaufwands; die Investition des Trainings von GPT4 wird auf 78 Mio. $ geschätzt (Stanford 2024). Umso wichtiger wird es, die Transformationen gleichzeitig zu betreiben. Unternehmen müssen sicherstellen, dass digitale Initiativen nicht nur effizient sind, sondern auch umweltfreundlich.
Ein weiteres Hindernis ist der Mangel an Fachwissen und Ressourcen. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden, die die Twin Transformation implementieren. Daher bietet die HSBA den Masterstudiengang Digital Transformation & Sustainability an, in welchem bereits seit 2018 Studierende in Projektgruppen lernen, wie man sich interdisziplinär Themengebiete der doppelten Transformation erschließt, systematisch analysiert und praxisrelevante Ergebnisse erzeugt (HSBA 2024).
Fazit
Durch die Integration von digitalen und nachhaltigen Praktiken können Unternehmen ihre Effizienz verbessern, Kosten senken, ihre Marktposition stärken als auch einen positiven Beitrag für Gesellschaft und Umwelt leisten. Nicht zuletzt ist es wichtig, sich als attraktiver Arbeitgeber für aktuelle und zukünftige Arbeitskräfte zu präsentieren. Noch entsteht allerdings der Eindruck, dass die Transformation eher punktuell betrieben, teilweise als lästiger Zusatzaufwand betrachtet wird und die Differenzierung im Markt wie auch die Potenziale zur Unternehmensentwicklung unterschätzt werden. Es ist daher an der Zeit, die Twin Transformation als strategischen Imperativ zu betrachten und schnellstmöglich die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um eine nachhaltige und digitale Zukunft zu gestalten.
1 NFRD: Non-Financial Reporting Directive, CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive, LkSG: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CSDDD: Corporate Sustainability Due Diligence Directive, GHG: Green House Gas