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Social Marketing für Hochschulen: Bedeutung der SDGs für die Ausbildung von Change Agents

Interview mit unserer HSBA Doktorandin und Kollegin Chiara Hübscher über ihr aktuelles Paper, in dem sie die Rolle der SDGs für die Ausbildung von Change Agents am Beispiel des MSc Studiengangs Digital Transformation & Sustainability untersucht.

"Wenn wir die Agenda 2030 der Vereinten Nationen umsetzen wollen, dann müssen wir uns Hochschuleinrichtungen zu Partnern machen. Denn hier werden die "Change Agents" ausgebildet, die das Potenzial haben, einen Beitrag in Bezug auf die Bekanntheit und die Erreichung der SDGs auf individueller, organisatorischer und institutioneller Ebene zu erzielen." Chiara Hübscher

Morgen vor sechs Jahren wurden im Rahmen der Agenda 2030 die Sustainable Development Goals, SDGs von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Doch der Bekanntheitsgrad der Ziele liegt laut Umfragen bei weniger als 50% weltweit. Und selbst wenn die Bekanntheit bei 100% läge, wäre dies nicht die Lösung des Problems, denn Bewusstsein allein reicht nicht. Es gilt menschliches Verhalten auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu ändern, um diese Ziele auch zu erreichen. Wie Hochschulen dazu beitragen könnten, indem sie Change Agents ausbilden, dazu hat sich unsere Doktorandin Chiara Hübscher Gedanken gemacht. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit hat sie in einer Fallstudie die Rolle von Hochschulen und ihren Studierenden in Bezug auf die Bekanntmachung und Umsetzung der SDGs auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen untersucht und dabei den HSBA Master-Studiengang MSc Digital Transformation & Sustainability genauer unter die Lupe genommen. Das Journal of Social Marketing hat erst kürzlich den von ihr in Zusammenarbeit mit Professorin Dr. Susanne Hensel-Börner, Studiengangsleiterin MSc Digital Transformation and Sustainability an der HSBA, und Inhaber des Lehrstuhls für Product-Market-Relations, 󲹰ܱä für Ingenieurtechnik, Universität Twente, Enschede, Niederlande. verfassten Artikel, veröffentlicht*. Wir haben die Gelegenheit genutzt unserer Doktorandin und zugleich Kollegin aus dem Business Development Department, ein paar Fragen zu stellen. 

 

Liebe Chiara, Du beschäftigst Dich mit Social Marketing, einer Disziplin die sich mit der Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Strategien beschäftigt, die darauf abzielen, einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel herbeizuführen. Wie bist Du auf die Idee gekommen, die Rolle der SDGs zu untersuchen?

Das erste Mal habe ich die Sustainable Development Goals (SDGs) im Rahmen meiner Tätigkeit als Senior Managerin für Bewerberrekrutierung & Unternehmenskooperationen an der HSBA wahrgenommen, genauer gesagt als der Studiengang Digital Transformation & Sustainability ins Leben gerufen wurde, den ich von da an administrativ betreute. Meine Hauptaufgabe bestand darin, Bewerber_innen für diesen Master-Studiengang der HSBA zu interviewen. Der MSc Digital Transformation & Sustainability hat sich die SDGs zum Leitbild genommen. In der administrativen Betreuung des Studiengangs und in Vorbereitung auf die Interviews mit Studienplatzbewerber_innen musste ich mich zwangsläufig auch mit diesen Zielen für nachhaltige Entwicklung beschäftigen. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den SDGs hat mich dem Thema nachhaltige Entwicklung noch nähergebracht, auch weil die Ziele die Bandbreite des Themas so wunderbar abbilden. Neben dem Beruf begegnete mir das Thema der SDGs auch im Rahmen meiner Forschungsarbeit als Doktorandin immer häufiger. Als ich dann den Aufruf des Journals of Social Marketing sah (“Social Marketing and the United Nations Sustainable Development Goals: I, We, and All of Us”), wusste ich, dass ich selbst zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und der Erreichung der SDGs einen Beitrag leisten und damit auch meinem Dissertationsprojekt im Bereich des Marketings einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit verleihen möchte. In diesem Kontext habe ich mich dann auch tiefergehend mit dem Konzept des Social Marketings beschäftigt. 

"Die 17 SDG sind ein klarer Auftrag und machen die Vielschichtigkeit und Komplexität an Aufgaben für eine nachhaltige Entwicklung deutlich. Im Studiengang dienen sie als Leitbild und Orientierungsrahmen, um das Thema Nachhaltigkeit und die notwendige Transformation fest im Mindset der Studierenden und Lehrenden zu verankern (und sie zu Change-Agents werden zu lassen)." Prof. Dr. Susanne Hensel-Börner

Kannst Du uns noch einmal erklären, was Social Marketing ist und wie man den Erfolg von Social Marketing misst? 

Einfach gesprochen nutzt Social Marketing die Techniken des Marketings, um das Verhalten von Personen zum Wohle der Gesellschaft zu beeinflussen. Zwei vermutlich sehr bekannte Beispiele einer Social Marketing-Kampagne sind “Gib AIDS keine Chance” oder auch ganz aktuell “A-H-A: Abstand, Hygiene, Alltagsmaske”. An diesen Beispielen wird aber auch gleich deutlich, dass der Erfolg einer Social Marketing-Kampagne schwer zu messen ist. Theoretisch gilt Social Marketing als erfolgreich, wenn das gewünschte Verhalten innerhalb der Zielgruppe erreicht wird. Wie viele Menschen aber nun tatsächlich aufgrund der A-H-A-Kampagne ihr Verhalten geändert, also mehr Abstand gehalten, sich häufiger die Hände gewaschen und die Maske getragen haben, ist sehr schwer zu beurteilen. Diese Herausforderung hat mich natürlich auch im Rahmen meiner eigenen Forschung beschäftigt. Nichtsdestotrotz sprechen die Ergebnisse unserer Studie dafür, dass Studierende als Change Agents einen sehr positiven Einfluss auf die Steigerung des Bekanntheitsgrades und die Erreichung der SDGs haben. Dieses Potenzial sollte unbedingt stärker genutzt werden, indem Social Marketing Hochschulen und Universitäten dazu aufruft, die SDGs als Leitbild in Studienprogrammen unabhängig der Disziplin zu verankern.

Im Rahmen der Studie wurde der Masterstudiengang Digital Transformation and Sustainability (MSc) kurz DTS der HSBA untersucht. Kannst Du uns ein paar Beispiele für diesen positiven Einfluss auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung von Studierenden/Absolvent_innen des DTS nennen?

In der Publikation finden sich jede Menge Beispiele von Studierenden des DTS und wie diese einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung geleistet haben (übrigens auch Beispiele unserer Lehrenden, die mit gutem Beispiel vorangehen). Um nur eines zu nennen: Zwei Studierende haben in ihrem Unternehmen ein Projekt zur nachhaltigen Verpackung gestartet (neben ihrem eigentlichen Job dort). Auch wenn das Projekt durch Corona einen kleinen Dämpfer bekommen hat, so plant die Geschäftsführung weiterhin die Umsetzung einer neuen, nachhaltigeren Verpackungsstrategie. Dies würde z.B. einen Beitrag zum SDG 12 - "Responsible Production" - bedeuten, da die Umsetzung des Projekts zu einer erhöhten Ressourceneffizienz und einem verbesserten materiellen Fußabdruck führen kann.

Du hast zusammen mit Prof. Dr. Susanne Hensel-Börner (HSBA) und Prof. Dr. Jörg Henseler (University of Twente) einen Leitfaden für eine Social Marketing-Kampagne entworfen. Was ist das Ziel dieser Kampagne und wie kann man sich diesen Leitfaden vorstellen?

Nachhaltigkeit ist ein solch interdisziplinäres Feld. Um nachhaltige Entwicklung erfolgreich voranzutreiben, braucht es Menschen vieler verschiedener Disziplinen mit unterschiedlichster Expertise. Und obwohl z.B. das Thema Wirtschaftsethik mittlerweile schon länger in den Curricula unserer Hochschulen und Universitäten eingebunden ist, denken wir immer noch zu sehr in Silos. Es fehlt meiner Meinung nach an der nötigen Vernetzung des Themas innerhalb einer Disziplin, aber auch zwischen verschiedenen Disziplinen, und letztlich auch an einer Handreichung zur praktischen Umsetzung. Das möchten wir mit einer Social Marketing-Kampagne ändern.

Mit unserer Studie zeigen wir, dass, wenn das Thema nachhaltige Entwicklung unter dem Leitbild der SDGs über Grenzen einzelner Module hinweg in einem Studienprogramm eingebettet ist und wenn dieses Studienprogramm noch dazu Raum bietet, nachhaltiges Verhalten zu üben, dann können Studierende tatsächlich zu Botschaftern für nachhaltige Entwicklung werden. Sie tragen ihre Kenntnisse und ihr Handeln aus dem Studienprogramm heraus an ihren Arbeitsplatz und in ihr Umfeld. Zusammengefasst lautet das Prinzip der Studie also: Hochschulen bzw. Universitäten sollen das Thema nachhaltige Entwicklung im Denken und Handeln ihrer Studierenden verankern, die wiederum Bewusstseins- und Verhaltensänderung in ihrem Umfeld im Sinne der nachhaltigen Entwicklung herbeiführen. Je mehr Menschen sich an nachhaltiger Entwicklung beteiligen, desto nachhaltiger werden wir, daher sollten sich möglichst viele Hochschulen bzw. Universitäten in der Ausbildung von Change Agents für nachhaltige Entwicklung engagieren. Die Ergebnisse unserer Studie sind dabei zweifältig: Zum einen zeigen wir, dass Studierende des untersuchten Studiengangs als Change Agents agieren und belegen dies anhand praktischer Beispiele. Zum anderen untersuchen wir, welche Elemente in der Ausbildung dieser Studierenden förderlich waren, sodass diese sich zu Change Agents entwickelten. Und genau hier setzt der im Rahmen der Studie entwickelte Leitfaden an.

Der Leitfaden fasst unsere Untersuchung der Zielgruppe “Hochschule” für eine potenzielle Social Marketing-Kampagne zur Implementierung der SDGs als Leitbild in Studienprogrammen zusammen und beleuchtet dabei Faktoren wie Verhaltensziele, Nutzen und Barrieren sowie Mittel zur Motivation.

Ich hoffe, dass wir selbst oder dass auch andere Forschende den Leitfaden insofern weiterentwickeln und mit weiteren Belegen aus Untersuchungen anderer Studienprogramme anreichern können, als dass er als theoretisches Fundament einer Social Marketing-Kampagne dienen kann, um die SDGs den Menschen näher bzw. an die Hochschulen zu bringen.

"Unsere Forschungsergebnisse liefern einen ermutigenden Case dafür, dass Bildung ein zentraler Schlüssel zur Zielerreichung der Agenda 2030 ist. Mit dem Leitfaden für eine entsprechende Social Marketing-Kampagne wollen wir unseren Beitrag leisten und weitere Hochschulen ermutigen, die SDGs als festen Bestandteil in die Studienprogramme zu integrieren."

Dieser Leitfaden ist als Ausgangspunkt gedacht. Wirst Du selbst weiter in diese Richtung forschen und die Einbindung der SDGs an anderen Hochschuleinrichtung untersuchen? Oder wohin geht Deine Reise?

Ja, unbedingt möchte ich in dieser Richtung weiter forschen. Das Thema meiner Dissertation hatte zunächst keinen konkreten Nachhaltigkeitsbezug. Dank der Auseinandersetzung mit nachhaltiger Entwicklung im Rahmen meiner ersten Studie, habe ich mein Dissertationsprojekt nun noch einmal neu definiert und möchte untersuchen, was die Marketingdisziplin und insbesondere die Ausbildung von zukünftigen Marketingmanagern dazu beitragen kann, unser hochgestecktes Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft bis 2030 zu erreichen.
 

Und zuletzt noch eine persönliche Frage: Natürlich kann man sich nicht immer und in jeder Situation korrekt verhalten, aber kannst Du uns ein Beispiel nennen, wie sich Dein Verhalten in Richtung Nachhaltigkeit verändert hat? Bist Du ein Change Agent geworden und konntest Du etwas auf den Weg bringen / andere motivieren?

Eine Probandin, die ich im Rahmen meiner Studie interviewt habe, hat es ganz gut auf den Punkt gebracht: Vorausgesetzt man hat bisher noch nicht sonderlich nachhaltig gelebt, ist es mit der Verhaltensänderung hin zu einem nachhaltigeren Lebensstil ein bisschen wie mit dem Abschluss einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Wenn Sport vorher nicht gerade zu meiner Tagesordnung gehörte, werde ich am Anfang vielleicht höchstmotiviert jeden Tag ins Studio gehen und trainieren. Das halte ich vielleicht einige Tage oder Wochen durch, bin dann völlig erschöpft und falle plötzlich wieder zurück in mein altes Muster und gehe gar nicht mehr hin. Eigene Verhaltensmuster zu durchbrechen ist ein wahnsinnig langwieriger Prozess und gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit gilt es ja oft, auf die ein oder andere Annehmlichkeit zu verzichten. Daher sind für mich kleine Schritte der Weg zum Ziel: Ich habe meinen Fleischkonsum enorm reduziert und wenn ich doch einmal Fleisch esse, dann kaufe ich ausschließlich direkt beim Bauern. Und für mein Frühstücksei halte ich jetzt Hühner in meinem Garten. Ich achte neben der regionalen Herkunft der Produkte beim Kochen allgemein stärker darauf, dass ich auch wirklich nur so viel zubereite, wie ich überhaupt essen kann, um möglichst nichts wegzuschmeißen. Auf Kurzstrecken habe ich das Auto gegen das Fahrrad eingetauscht oder gehe direkt zu Fuß. Für längere Strecken versuche ich, wo möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, aber da ich relativ ländlich lebe, kann ich nicht ganz auf den Luxus des eigenen Autos verzichten. Da neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch die soziale Nachhaltigkeit eine wichtige Säule bildet und Zugang zu Bildung sogar als ein SDG definiert ist, bin ich mir außerdem bewusst geworden, dass ich dank meines ehrenamtlichen Engagements als Nachhilfelehrerin schon länger einen klitzekleinen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit leiste.

Gerade diese Vielfalt von Nachhaltigkeit versuche ich in Gesprächen mit meinem Umfeld zu beleuchten. Meine Forschung und theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema geben mir immer mehr Argumente und Wissen in Bezug auf Nachhaltigkeit an die Hand, die ich dann mit Familie, Freunden oder Kolleg_innen diskutieren kann. Auch damit kann man einen Beitrag leisten, indem man andere für das Thema sensibilisiert. Insbesondere in Diskussionen werden einem aber auch oft die Grenzen des eigenen Handelns bewusst. In einem Urlaub in Spanien (auch auf das Fliegen kann ich noch nicht ganz verzichten) ist mir aufgefallen, dass es kein Pfandsystem für Plastikflaschen wie in Deutschland gibt und dass das Thema Mülltrennung quasi nicht existent ist in privaten Haushalten. Leider kenne ich mich hier thematisch auch nicht genug aus, um eine konkrete Handlungsempfehlung abzugeben, aber selbst, wenn ich einen Vorschlag hätte, wen soll ich in der spanischen Regierung anrufen? (Ich übertreibe hier natürlich bewusst.) Als nächstes Ziel habe ich mir daher gesetzt, das Thema Nachhaltigkeit noch stärker in meinem Arbeitsumfeld einzubringen. Im Rahmen meiner Promotion mache ich das ja nun schon ganz bewusst.

Als Change Agent würde ich mich zusammenfassend noch nicht sehen. Aber ich bin überzeugt, auf einem guten Weg zu sein, einmal selbst einer zu werden. Mit der Promotion ist es mein Ziel, eines Tages in die Lehre zu gehen. Bis dahin würde ich mir gern noch mehr Expertise im Bereich Nachhaltigkeitsmarketing aneignen, die ich dann an zukünftige Studierende weitergeben und sie somit hoffentlich zu Botschaftern für nachhaltige Entwicklung ausbilden kann.

 

*Hübscher, C.; Hensel-Börner, S. und J. Henseler (2021): Social marketing and higher education: partnering to achieve sustainable development goals, in:  Journal of Social Marketing, DOI: 


Chiara Hübscher promoviert im Rahmen des Kooperativen Doktorandenprogramms an der HSBA und der Universität Twente zum Thema “Skills Development for 21st Century Marketing: Educating Change Agents for a Sustainable Tomorrow”. Sie wird von Professorin Dr. Susanne Hensel-Börner, Studiengangsleiterin MSc Digital Transformation and Sustainability an der HSBA, sowie Professor Dr. Jörg Henseler, Inhaber des Lehrstuhls für Produkt-Markt-Beziehungen an der 󲹰ܱä für Ingenieurtechnik der Universität Twente, Enschede, Niederlande, betreut.

 

Die HSBA unterstützt mit ihrem Graduate Center Dissertationsprojekte hervorragender Absolventinnen und Absolventen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis. Jeweils zum Wintersemester mit Beginn am 1. Oktober starten die neuen Doktoranden an der HSBA. Wenn auch Sie sich für eine kooperative Promotion an der ҹAVnteressieren, melden Sie sich gerne! Über Bewerbungen freuen wir uns jederzeit. Mehr Informationen dazu finden Sie unter: Promotionsstudium