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Interview: Logistik und Mobilität in Zeiten der Krise

Wie ändern sich Mobilität und Verkehr in Zeiten von Corona? Darüber haben wir mit unserem HSBA Experten und Leiter des Studiengangs BSc Logistics Management, Prof. Dr. Jan Ninnemann, gesprochen.

Welche Auswirkung hat die Corona-Krise auf den Verkehr in Hamburg, Deutschland und der Welt? 

Der Verkehrssektor spürt die Auswirkungen der Corona-Krise in seiner gesamten Bandbreite. Pendlerverkehre haben sich in Folge der vielfach geltenden Home-Office Regelungen drastisch reduziert, Urlaubs- und Geschäftsreiseverkehre sind nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Dies führt zu entsprechenden Rückwirkungen auf die Verkehrsunternehmen. Die Deutsche Bahn beklagt im Fernverkehr eine Auslastung von z. T. unter 10 %. Die Lufthansa hat 90 % ihrer Flotte am Boden und beklagt im ersten Quartal einen Milliarden-Verlust.  

Was macht das mit der Mobilität? Steigen jetzt alle Menschen aufs Fahrrad um und machen weniger Fernreisen? 

Tatsächlich zeigt sich seit Beginn der Corona-Krise ein verändertes Mobilitätsverhalten. Statt die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen wird vielfach auf das eigene Auto zurückgegriffen. Auch Carsharing-Dienste und neue Mobilitätsanbieter wie MOIA spüren die Folgen von Corona in Form von deutlich geringeren Nutzerzahlen. Das Risiko der Ansteckungsgefahr spielt bei vielen eine sehr große Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Aufgrund der frühlingshaften Temperatur ist auch das Fahrrad einer der Gewinner der Corona-Krise. Das Thema Fernreisen ist aufgrund der aktuellen Reisebeschränkungen kein Thema. Es bleibt abzuwarten wann und in welchem Umfang hier eine Wiederbelebung eintritt. 

Was wird sich langfristig ändern? Und was bedeutet das für die Arbeits- und Hochschulwelt? Werden wir in Zukunft weniger mobil sein und mehr auf Home-Office, Videochats und Online-Lehre setzen? 

Die Corona-Krise wird unsere Arbeitswelt verändern. Die doch vielfach geübte Zurückhaltung gegenüber Home-Office, Videokonferenzen etc. dürfte sich durch Corona wandeln. Fragen wie “Muss ich wirklich jeden Tag ins Büro fahren?” und Muss ich für ein 2-stündiges Meeting 5 Stunden Fahrt in Kauf nehmen?” dürften nach Corona vermehrt gestellt werden. Für den Verkehrssektor bedeutet dies, dass wir das Vorkrisen-Niveau z. B. im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs und des Flugverkehrs vielleicht nicht wieder erreichen.   

Welche Auswirkungen hat Corona auf den Güterverkehr? Sollten in Zukunft wieder mehr Produkte in Deutschland und Europa hergestellt werden? 

Die Corona-Krise zeigt, dass globale Lieferketten “verwundbar” sind. Gerade bei strategisch wichtigen Bau- oder Ersatzteilen sowie Grundstoffen für Produkte wie Arzneimittel etc. dürfte sich die Frage nach einer partiellen Rückverlagerung nach Europa stellen. Hieraus resultieren entsprechende Rückwirkungen auf globale Lieferketten, die auch auf Hamburg als Hafen- und Logistikstandort ausstrahlen. Aktuell profitieren im Güterverkehr insbesondere die Paketdienstleister von der Corona-Krise, weil deutlich mehr Waren als sonst online bestellt werden.    

Gibt es insgesamt auch positive Auswirkungen? Werden sich die Veränderungen z.B. positiv auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit auswirken? 

Definitiv gibt es auch positive Effekte durch die Krise. Die Notwendigkeit in Folge von Kontaktbeschränkungen neue, meist digitale Lösungen zu suchen, Prozesse anzupassen und z. T. zu verschlanken hat gezeigt, dass viele Unternehmen noch Effizienzreserven haben, die nach und nach ausgeschöpft werden. Dabei ist zu hoffen, dass wir aus der Krise die richtigen Schlüsse ziehen und Corona-getriebene Prozessanpassungen verstetigen.

Prof. Dr. Jan Ninnemann
Prof. Dr. Jan Ninnemann

Prof. Dr. Jan Ninnemann hat nach seinem Studium an der Universität Hamburg und der Bordeaux Business School ein Graduate Diploma in Maritime and Port Management an der National University of Singapore erhalten und in Hamburg zum Thema „Seehafenwettbewerb in Europa“ promoviert.

Nach ersten beruflichen Stationen im Consultingbereich gründete Professor Ninnemann 2008 gemeinsam mit Dr. Thomas Rössler die „Hanseatic Transport Consultancy“, eine Strategie- und Managementberatung für Transport, Verkehr und Logistik. Ehrenamtlich engagiert er sich im Präsidium der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG).

Seine inhaltlichen Schwerpunkte liegen im Bereich maritimer Logistikketten. Durch seine Forschungsarbeiten verfügt er über Spezialwissen im Bereich Seehafenwettbewerb und Seehafenhinterlandverkehr sowie der Digitalisierung in der maritimen Industrie. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Themen der innerstädtischen Zustelllogistik (letzte Meile).