Familienunternehmen sind der prägende Unternehmenstypus in Deutschland. Auch sie sind auf vielfältige Weise von der Corona Krise betroffen. Wie es gerade diesem speziellen Unternehmenstyp gelingen kann, die Krise zu meistern und warum erklären unsere Experten vom (IMF) in einem Interview.
Interview: Familienunternehmen in der Krise?
Werden Familienunternehmen die Corona-Krise besser meistern als Nicht-Familienunternehmen?
Klein: Das kann man natürlich nicht so pauschal beantworten. Denn neben der Vermutung, dass Familienunternehmen besondere Fähigkeiten aber auch durchaus Schwächen haben, sind zur Bewältigung einer Krise mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Erst das Zusammenwirken von typischen Stärken von Familienunternehmen und ihrer Familien, Managementfähigkeiten, Branchenzugehörigkeit, tatsächliche Kapitalausstattungen, Einbindung in Lieferketten, die Rahmenbedingungen, z.B. Zugang zu Kapital um einige Beispiele zu nennen, ergeben das Gesamtbild – und das ist von Unternehmen zu Unternehmen und damit auch von Familienunternehmen zu Familienunternehmen höchst unterschiedlich.
Das bedeutet also, dass es für Familienunternehmen verständlicherweise keine natürlichen Erfolgsgarantien geben kann?
Prigge: So ist es. Aber wir glauben, dass Familienunternehmen bessere Chancen haben. Aus der Tatsache heraus, dass sie Familienunternehmen sind, lassen sich viele Argumente finden, die diesen Unternehmenstyp krisenrobuster erscheinen lassen. Jedenfalls ist das eine Erkenntnis, die Forschungen nach der Zeit der Finanzkrise ergeben haben.
An was denken Sie dabei?
Klein: Hierzu müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, was Familienunternehmen sind: nämlich ein Konstrukt das im Wesentlichen aus 3 Komponenten – wir nennen es Systeme – besteht: nämlich die Familie, das Unternehmen und die Eigentümer. Die Besonderheit der Familienunternehmen besteht nun darin, dass sich diese drei Sphären bildlich gesehen überschneiden. Inhaltlich ist damit gemeint, dass Eigentümerschaft, Management des Unternehmens und Familie oft ganz oder zumindest teilweise in Bezug auf die handelnden Personen identisch sind. Familie und Unternehmen sind also eng miteinander verknüpft, so dass sich wechselseitige Ergänzungen erkennen lassen. Dabei wird die Familie eine zusätzliche Ressource für das Unternehmen – also das sprichwörtliche Familien-unternehmen.
Was bedeutet das für die von Ihnen vermutete höhere Krisenstabilität?
Prigge: Es dürfte zunächst auf der Hand liegen, dass die weitgehende Identität der genannten Akteure in der Wahrnehmung ihrer Rollen als Familienmitglied und Manager oder Eigentümer zunächst einmal Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung und -umsetzung begründen. Ein nicht zu unterschätzender Geschwindigkeitsvorteil, da z.B. keine formalen Gremien Entscheidungsprozesse verlangsamen. Zweitens fällt mir sofort ein vermutlich stärker ausgeprägtes Verantwortungsgefühl ein. Ein angestellter Manager dürfte sich vergleichsweise z.B. weit weniger um das Wohl seines arbeitgebenden Unternehmens sorgen, als es ein Familienunternehmer tatsächlich macht. Für ihn, den Familienunternehmer, sind nämlich oft „alle Eier in einem Korb“ – nämlich in dem Unternehmen und das Schicksal des Unternehmens kommt dem Schicksal der Familie schnell gleich. Dadurch lässt sich gut nachvollziehen und erklären, dass Familienunternehmen sich durch ein ganz besonderes Stakeholder-Management auszeichnen müssen und es auch tun.
Können Sie kurz erklären, was Sie damit meinen?
Klein: Ohne jetzt allzu weit ausholen zu wollen: ein besonderes Merkmal von Familienunternehmen besteht darin, nicht primär finanzielle Zielsetzungen zu verfolgen. Vielmehr lässt sich beobachten, dass immaterielle psychologisch motivierte Faktoren häufig überwiegen. Studien haben gezeigt, dass der Erhalt z.B. von sozialen Bindungen sowohl in der Familie aber auch zu Kunden und Lieferanten ein hohes Gut darstellt, das es gilt, auf jeden Fall zu erhalten (siehe Erklärungskasten SEW) Das geht konsequenterweise so weit, dass auch finanziell motivierte Optionen nicht wahrgenommen werden, obwohl sie Renditen versprechen, sofern eine potentielle Gefährdung der immaterielle Werte erkannt wird. Diese Risikoaversion ist also eine Folge daraus, dass immaterielle Werte höher eingeordnet werden als finanzielle Chancen.
Prigge: Die stärkere emotionale Bindung der Unternehmerfamilie an das Unternehmen und der Wunsch, das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben, kann dazu führen, dass die Unternehmerfamilie in der Krise mit mehr Herzblut um ihr Unternehmen kämpft, als das beim Nichtfamilienunternehmen der Fall ist. Dazu passt eine umfangreiche Studie über britische Unternehmen. Sie hat herausgefunden, dass die Insolvenzwahrscheinlichkeit von Familienunternehmen im Untersuchungszeitraum 2007-2010 signifikant geringer war als die von Nicht-Familienunternehmen.
Welche Bedeutung hat diese Erkenntnis für Krisensituationen?
Klein: Eine Konsequenz ist, dass das Management von Krisen häufig anders als in Nicht-FU erfolgt. Z.B. bestehen oft besonders enge Beziehungen zu Mitarbeitern, die sich über lange Betriebszugehörigkeiten aufgebaut haben. So bilden sich gewissermaßen familiäre Beziehungen. Das ist wohlgemerkt beiderseitig. Die Identifikation der Mitarbeiter und ihr Commitment zum Unternehmen wird durch Fürsorge von Seiten der Familie erwidert. So hat unlängst Wolfgang Grupp in einem Interview bestätigt, dass er keine Mitarbeiter entlassen wird. Das ist insofern bemerkenswert, da auch sein Unternehmen mit Umsatzeinbußen von über 50% rechnet. Auf diese Weise entsteht in bzw. für das Familienunternehmen ein ausgeprägtes Humankapital, das auch in Krisen nicht gefährdet oder zerstört werden soll. Wir kennen Fälle, in denen Familienunternehmen Kurzarbeit zwar anmelden, aber die drohenden finanziellen Einbußen der Mitarbeiter aus eigenen häufig auch privaten Mitteln ausgleichen.
Folgern Sie daraus, dass finanzielle Prioritätensetzungen in Familienunternehmen nicht die Regel sind?
Klein: Dem ist natürlich nicht so. Keinem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen dürfte es an finanzieller Stabilität nicht gelegen sein, und das ist in Familienunternehmen nicht anders. Im Gegenteil: aufgrund der Konstellation, dass ein Familienunternehmen in der Hand der Familie oder der Familien ist, ergeben sich gerade in finanzieller Hinsicht gegenseitige Abhängigkeiten: das finanziell gesunde Unternehmen ernährt quasi die Familie, während gleichzeitig die Familie eine Ressource für das Unternehmen darstellt. Aus letzterer Beziehung können Unternehmen auch Krisenzeiten besser oder auch länger überstehen als Nicht-Familienunternehmen. Ein prominentes Beispiel ist die missglückte Übernahme von Volkswagen durch Porsche. Ohne erhebliche Beiträge der Dynastien Piech und Porsche wäre die Krisenüberwindung finanziell nicht ermöglicht worden.
Prigge: Das setzt natürlich voraus, dass das Unternehmen nicht nur nachhaltig profitabel arbeitet, sondern dass darüber hinaus die Dividendenpolitik verantwortungsvoll ggü. den Familienmitgliedern und ggü. dem Unternehmen gestaltet wird. Konkret formuliert ist es deshalb häufig ein Ziel, die Eigenkapitalquote durch Gewinnthesaurierung vergleichsweise hoch zu halten, um auch temporäre Durststrecken überstehen zu können und gleichzeitig eine gewisse Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt und insbesondere ggü. Banken zu gewährleisten. Wir wissen natürlich, dass ein solches Verhalten aus betriebswirtschaftlicher Sicht unter dem Kriterium der Eigenkapitalrentabilität nicht optimal ist. Aber unter dem Kriterium der langfristigen Absicherung dieses s.g. Patient Financial Capital werden so Handlungsspielräume ermöglicht oder eben auch für Krisen Polster und Ressourcen gebildet. In der Krise kann dabei eine Erkenntnis aus unseren Forschungen hilfreich sein: Eine Interpretation der Ergebnisse eines gemeinsamen Aufsatzes unserer Doktoranden ist, dass es Familienunternehmen leichter fällt, Zugang zu Bankkrediten zu erhalten als Nicht-Familienunternehmen. Letztere müssen demnach mehr materielles Vermögen vorweisen können, um genauso viel Kredit wie Familienunternehmen zu erhalten. Der Status eines Familienunternehmen schafft also so viel Vertrauen, was Nicht-Familienunternehmen folglich erst durch materielles Anlagevermögen erzeugen müssen.
Welche anderen Eigenschaften würden Sie nennen, die Vorteilhaftigkeit von Familienunternehmen in Krisensituationen zu beschreiben?
Klein: Ein vielleicht offensichtlicher, aber nicht zu unterschätzender Vorteil dürfte nicht nur in der Geschwindigkeit von Entscheidungen, sondern in deren Umsetzungen liegen. Während der Corona-Krise erleben wir, dass z.B. Beatmungsgeräte und Mundschutz und Testkapazitäten fehlen. Während in den USA Regierungsentscheidungen auf höchster Ebene notwendig waren, haben viele Unternehmen – und hier waren Familienunternehmen in vorderer Front – sich schnell an diese Situation angepasst und reagiert, ohne diese Maßnahmen als Marketing in eigener Sache zu sehen. Bosch, ein Familienunternehmen, hat z.B. in kürzester Zeit in ihrer Medizinsparte – übrigens eine Herzensangelegenheit von Robert Bosch - neue Testverfahren marktfähig entwickelt, wir erinnern auch uns an Trigema und die Familie Grupp, die 80% ihrer Produktionskapazitäten auf die Herstellung von textilem Mundschutz in kürzester Zeit umgestellt haben. Dräger aus Lübeck - besser bekannt als ein Qualitätsführer für Beatmungsgeräte - investiert aktuell in den USA, um ein Werk zur Herstellung von medizinischen Schutzmasken zu errichten – und das sogar sehr schnell. Bereits im September sollen die Produktionen anlaufen. Die VW-Tochter Seat fertigt Beatmungsgeräte. Die Liste der Unterstützer auch die der Nicht-Familienunternehmen ist lang.
Das hört sich doch so an, als wenn die Gewinner einer Krise – wenn man es so formulieren will – Familienunternehmen sind.
Klein: Diese Interpretation ist so formuliert nicht richtig. Unternehmerisches kluges Verhalten ist nicht für Familienunternehmer reserviert. Sie haben – wie dargestellt – besondere Voraussetzungen, aber das sind ja keine Garantien. Eine Krise zu überwinden ist wie bereits erwähnt von vielen Faktoren bestimmt und dazu gehört auch deren Dauer. Um es einfach zu sagen: ohne ausreichende Einnahmen sind bei laufenden Kosten die Handlungsspielräume zeitlich begrenzt. Für die einen sind sie länger, für andere sind sie kürzer. Kein Netzwerk aus Mitarbeitern, Kunden oder Lieferanten ist unendlich belastbar. Es ist deshalb wichtig, dass in einer Krise mit gesamtwirtschaftlichem Ausmaß nicht die Stützen der Wirtschaft - nämlich der Mittelstand und die Familienunternehmen - vergessen werden. Wir haben manchmal daran Zweifel, dass diesen Unternehmen ausreichend Aufmerksamkeit gegeben wird. Die Politik hat dieses erkannt, doch es bleibt die Frage, ob den Worten auch die ausreichenden Taten folgen. Vor dem Hintergrund, dass über 90% der ca. 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland Familienunternehmen zurechenbar sind, erscheint die Frage legitim, ob die finanziellen Hilfsprogramme ausreichend sind, diesen wirtschaftlichen Motor am Laufen zu halten. Sicherlich, die einzelnen kleinen Betriebe und Unternehmen (in Deutschland beschäftigen 3,1 Millionen Unternehmen bis zu 9 Mitarbeiter) mögen nicht systemrelevant sein, um dieses schreckliche Schlagwort zu bemühen. Aber Mittelstand und Familienunternehmen in ihrer Gesamtheit sind es schon. Einer aktuellen Umfrage des Verbandes Die Familienunternehmer zufolge sehen die befragten Unternehmen ihre Liquidität dramatisch gefährdet an. Gut ein Viertel der Befragten glauben, bis zu 3 Monate durchhalten zu können, ein Drittel jedoch nur bis zu 8 Wochen. Insofern bleibt zu hoffen, dass insbesondere bürokratische Hürden z.B. im Rahmen von Bonitätsprüfungen besser und vor allen Dingen schneller genommen werden.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Familiness
Familiness beschreibt aus einer ressourcenorientierten Perspektive die Besonderheiten von Familienunternehmen. Es wird als einzigartiges Bündel an Ressourcen definiert, über das ein Unternehmen aufgrund der systemischen Interaktion von Familie, individuellem Mitglied und dem Unternehmen verfügt.
Drei Dimensionen bestimmen die Familiness:
- Beteiligung der Familie in Bezug auf Eigentum, Management und Kontrolle
- Spezifisches Verhalten, resultierend aus dem Einfluss der Familie
- Organisationale Identität