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Interview: Die Finanzmärkte in Zeiten der Krise

Wie stark wird die Corona-Krise die Finanzmärkte treffen? Das haben wir unseren HSBA-Professor, Prof. Dr. Peter Scholz, gefragt.

Wie stark wird die Corona-Krise die Finanzmärkte und die Börse treffen? 

Das ist im Moment noch schwer abzuschätzen. Der DAX hat zwischenzeitlich fast 40% verloren, sich aber mittlerweile wieder spürbar erholt. Die Marktteilnehmer hoffen momentan sehr auf das V-Szenario, also eine heftige, aber kurze Rezession und eine schnelle Erholung. Je länger der Lockdown anhält, umso schwerwiegender die Konsequenzen. Momentan sieht es ja vermehrt nach Lockerungen aus, das hilft insbesondere dem regionalen Einzelhandel. Wie die langfristigen Folgen für das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, dem Mittelstand, aussehen werden, lässt sich noch nicht völlig abschätzen. Ein neuerlicher Lockdown würde wohl aber die taumelnde Wirtschaft schwer treffen. Sollten wir zügig zur einer “neuen Normalität” zurückfinden, wird die Börse es besser verkraften. Ein neuer Lockdown wird weitere Kursstürze zur Folge haben. 

Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer? 

Fast alle sind Verlierer. Was man gerne vergisst: Wirtschaft sind nicht nur die Großunternehmen, Wirtschaft, das sind wir alle. Wir alle sind Teil des Wirtschaftskreislaufs, und wenn der so massiv gestört wird, geht es primär um Jobs, Ersparnisse, Rentenansprüche usw. die verloren gehen. Je länger die Einschränkungen dauern, umso massiver die Konsequenzen. Nehmen die Insolvenzen zu, dann löst das irgendwann Kaskadeneffekte aus, die dann auch durch Olaf Scholz’ “Bazooka” nicht mehr beherrscht werden können. Wirtschaft ist ein System, das auf Vertrauen basiert. Das lässt sich nicht beliebig ein- und ausschalten.  
Besonders hart trifft die Krise natürlich die Branchen, die vom Kundenkontakt leben und Unternehmen, die nicht im Rampenlicht stehen und daher vielleicht schwerer an Hilfsmittel kommen. Die wenigen Gewinner sind die großen Online- und Digitalkonzerne wie Amazon, Facebook, Netflix aber auch ein paar kleinere Player, wie z.B. Teamviewer. Die Pharmakonzerne, die einen Impfstoff finden gegen COVID-19, werden dann sicherlich auch zu den Gewinnern an der Börse zählen. 

Wird die Krise ähnlich wie die Finanzkrise von 2008 oder müssen wir uns stärkere Auswirkungen einstellen? 

Die Finanzmarktkrise von 2008 betraf vor allem die Nachfrageseite, diese Krise wird beide Seiten, Angebot und Nachfrage, treffen. Insofern ist sie neuartig. Es wird daher deutlich komplexer bzw. teurer, die Folgen zu beherrschen. Es ist auch eine Frage, wie sich das Vertrauen ins System entwickelt: Werden die Menschen Zukunftssorgen haben, dann wird die Nachfrage schwerer zu stimulieren sein. Und die Frage ist, wie viel Infrastruktur auf der Angebotsseite zerstört wurde. Es bleibt auch abzuwarten, wie viel Geld der Staat ausgeben muss, um die Folgen dieses gewagten Experiments abzumildern. Das Geld ist ja aber das Geld der Steuerzahler, d.h. es ist so oder so nicht geschenkt. Es würde mich nicht wundern, wenn wir eine Art “Corona-Soli” bekommen werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Einbruch heftiger als bei der Finanzkrise wird. Langfristig wird die Wirtschaft einen Weg finden, kurzfristig kann es aber sehr schmerzhaft werden.  

Was müsste man jetzt und in Zukunft tun, um die Krise einzudämmen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln?

Die ökonomische Krise kann am besten eingedämmt werden, wenn man soweit lockert wie verantwortbar ist. Allerdings ist der Schaden bereits angerichtet und sobald die Hilfen auslaufen, wird es schwierig für viele Unternehmen. Es zeichnet sich ja z.B. in Hamburg ab, dass die Kunden trotz Ladenöffnung vielerorts ausbleiben. Viele Ökonomen erwarten ab Herbst daher eine Pleitewelle. Die Antwort wird dieselbe sein, wie in der Vergangenheit auch: Liquidität ins System pumpen und die Verschuldung erhöhen. Es wird trotzdem Verwerfungen geben, die nicht abgefedert werden können. Die Wirtschaft ist zu komplex – auch wenn nur einzelne Rädchen gestoppt werden, kann das vielfältige Auswirkungen haben – und es wurden viele Räder gestoppt. Grundsätzlich bewähren sich momentan die Maßnahmen des Sozialstaates – Unterstützung wie Kurzarbeitergeld sind natürlich hilfreich, aber auch nur in den ersten Wochen bis hin zu wenigen Monaten. Den Eltern muss durch Schulöffnung und Kitabetreuung auch wieder die Möglichkeit gegeben werden zu arbeiten. Die Mehrfachbelastung der Familien ist wirklich kritisch!

Was werden die langfristigen Auswirkungen sein? Gibt es auch positive Effekte, gerade auch in Bezug auf die Digitalisierung?

In Zukunft braucht man klare Konzepte wie man so einer Krise professionell begegnen kann. Erst wurden keine Maßnahmen getroffen und die Menschen konnten fröhlich zum Aprés-Ski und Fasching, dann hat man komplett hart alles geschlossen, auch vieles was nicht notwendig war. Den Einzelhandel dicht zu machen, aber Ketten offen zu lassen war z.B. sehr inkonsistent. Dass wir keine strategische Reserve in Masken, Schutzanzügen, Desinfektionsmittel haben, lässt mich ratlos zurück. Covid-19 ist eine ernste Erkrankung. Aber wie hätte es ausgesehen, wenn wir ein neuartiges Virus der Ebola-Kategorie erlebt hätten? Wir brauchen nicht nur ein Konzept für den Seuchenschutz, sondern auch, wie man konkret das wirtschaftliche Leben weiterführen kann. Ideen wie den Winterschlaf einer Ökonomie darf man nicht im Krisenfall testen. Was die positiven Effekte auf Digitalisierung und Homeoffice betrifft, hoffe ich, dass die positiven Aspekte auch nach der Krise erhalten bleiben.

Prof. Dr. Peter Scholz
Prof. Dr. Peter Scholz

Prof. Dr. Peter Scholz ist seit 2013 Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Banking an der HSBA. Zudem ist er Studiengangsleiter des MSc Finance. Zuvor war er über zehn Jahre im Investmentbanking und im Privatkundengeschäft tätig – als Portfoliomanager bei der Deka Investment in Frankfurt am Main sowie als Derivatehändler und Wertpapierspezialist bei der Deutschen Bank.

Nach der Berufsausbildung zum Finanzassistenten bei der Deutschen Bank und dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen promovierte Professor Scholz am Centre for Practical Quantitative Finance an der Frankfurt School of Finance & Management, wo er weiterhin Lehraufträge im Bereich Finance erfüllt.

Seine Forschungsergebnisse stellt Professor Scholz regelmäßig bei internationalen Konferenzen vor, u. a. bei den Meetings der Midwest Finance Association, der Southern Finance Association, der Multinational Finance Society, sowie der World Finance Conference.