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Fokus Ukrainekrise - Internationale Seeschifffahrt: Seeleute in Not

Unser Schifffahrts-Experte Prof. Dr. Max Johns berichtet über die Lage betroffener Schiffe und ihrer Besatzung in ukrainischen Häfen.

Nach der letzten humanitären Krise auf See, die durch Corona ausgelöst wurde, und über 100.000 Seeleute auf ihren Frachtern einsperrte, ist nun die Situation für Schiffe und insbesondere Schiffsmannschaften im Kriegsgebiet noch aussichtsloser: Ãœber 1000 Seeleute stecken aktuell auf ihren Schiffen in den Häfen der Ukraine fest, sie haben faktisch keine Chance die Gegend auf dem Seeweg zu verlassen. Unser Schifffahrts-Experte und Leiter der Maritime Business School, Prof. Dr. Max Johns, der sich in seiner Forschung u.a. auch mit sozialen Fragen wie Sicherheit und Arbeitssituation von Seeleuten befasst, erklärt, wie es dazu kommen konnte, welche Konsequenzen dies für den Handel auf See haben könnte und berichtet über die Lage betroffener Schiffe und ihrer Besatzung in ukrainischen Häfen.  

Es liegen aktuell noch rund einhundert Schiffe in den Häfen der Ukraine fest. Warum konnten die Schiffe das Gebiet nach dem russischen Angriff Mitte Februar nicht mehr verlassen?
Es war ein Überfall, von dem die Reedereien und Seeleute ebenso überrascht wurden wie die Bevölkerung der Ukraine. Innerhalb weniger Stunden war es nur noch unter großer Gefahr möglich, die Häfen zu verlassen, da bereits mit Minen oder Beschuss durch Kriegsschiffe gerechnet werden musste.

Wie geht es den Seeleuten, die auf Schiffen in den Häfen der Ukraine festsitzen? Wie sicher sind sie? 
Kein Hafen ist sicher vor Beschuss, damit sind auch alle Seeleute, die sich noch auf Schiffen befinden, in Gefahr. Leider sind auch schon mehrere zivile Schiffe beschossen worden. Dabei hat es Tote und Verletzte gegeben. Einige Schiffe können schon nicht mehr versorgt werden, da wird jetzt die Nahrung knapp.  

Die IMO (International Maritime Organization) fordert die Einrichtung eines „Blue Safe Corridors“, um Seeleute und Schiffe aus den gefährdeten und betroffenen Gebieten im Schwarzen Meer und im Asowschen Meer an einen sicheren Ort zu bringen. Auch der deutsche Reeder-Verband VDR fordert, dass alle Schiffe mit ihren Besatzungen die Region verlassen dürfen. Welche Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?
Es ist zu hoffen, dass auf so einem Weg die betroffenen Seeleute evakuiert werden können. Vor allem die russische Marine müsste dazu sicheres Geleit garantieren. Besonders kompliziert ist es, überhaupt aus den Häfen herauszukommen. Zudem haben beide Seiten Minenfelder ausgelegt, die die zivile Navigation fast unmöglich machen.

Viele Unternehmen der Schifffahrtsbranche, wie bspw. HHLA aus Hamburg, konnten ihre Hafenarbeiter und deren Angehörigen rechtzeitig aus dem Krisengebiet evakuieren. Was können die Reedereien tun, um ihren Crews zu helfen?
Auch deutsche Reedereien sind betroffen und haben bereits extreme Anstrengungen unternommen, um ihre Seeleute zu evakuieren. Bei den Crews ging es darum, sie mit oder ohne Schiff sicher aus dem Land zu bekommen. Das ist noch nicht überall gelungen.

Von den insgesamt 1,8 Millionen Seeleuten weltweit sind 10% Russen und ca. 5 % Ukrainer. Kommt es vor, dass beide Nationen gemeinsam auf einem Schiff arbeiten? Kann das auch zu schwerwiegenden Konflikten führen oder halten die Kollegen in der Regel zusammen?  
Die Ukraine und Russland sind heute in der Tat die wichtigsten europäischen Seefahrernationen. Sehr oft wurden sie bislang zusammen eingesetzt. Zuerst hat es viele solidarische Aktionen zwischen beiden Nationalitäten an Bord gegeben. Je länger der Krieg andauert, desto eher kann es aber zu Spannungen führen. Viele Reedereien versuchen, den gemeinsamen Einsatz zu vermeiden.

Was haben ukrainische Seeleute, die sich auf russischen Schiffen oder in russischen Häfen befinden, zu befürchten? 
Das ist ein besonders unerfreuliches Thema: Mehrere ukrainische Seeleute wurden in russischen Häfen ohne Angabe von Gründen von der Polizei oder anderen Sicherheitskräften abgeholt und sind verschwunden. Das widerspricht jedem Recht. Reedereien betreiben daher sehr großen Aufwand, damit ukrainische Seeleute vorher aussteigen können. Das ist allerdings unter weiterhin geltenden Corona-Restriktionen vor allem in Asien extrem kompliziert.

Einmal abgesehen von der verheerenden humanitären Notlage, welche weiteren Konsequenzen hat diese Situation, dass Frachtschiffe seit Wochen feststecken und keine Besserung in Sicht ist, für globale Lieferketten und den Handelsverkehr auf See?
Noch stecken gut einhundert Schiffe im Kriegsgebiet fest. Das macht bei einer Weltflotte von über 100.000 Handelsschiffen nicht viel aus. Völlig anders sieht es da natürlich mit den gewaltigen Verschiebungen im Warenverkehr aus, die sich abzeichnen: große zusätzliche Mengen Gas, die bislang durch Pipelines nach Europa kamen, kommen jetzt per Schiff aus den USA, Katar und anderen Ländern. Ebenso nimmt das Öl aus Russland jetzt wohl völlig neue Wege und wird an andere Abnehmer geliefert. Dafür ersetzt bspw. arabisches Öl die Lücke. Unklar ist noch, woher und auf welchen Wegen die großen Mengen Getreide (insb. Weizen) aus der Ukraine ersetzt werden, falls die Ernte ausfallen sollte. Allgemein denken ja viele Firmen darüber nach, ihre Lieferketten zu verkürzen und zu diversifizieren. Wenn das passiert, müssen die Karten der Handelsrouten neu gezeichnet werden.

Die HSBA steht solidarisch an der Seite der ukrainischen Bevölkerung und all jener, die für Frieden und die freiheitlich demokratischen Grundwerte einstehen und sich gegen den Krieg in der Ukraine positionieren. Geflüchteten Studierenden aus der Ukraine bietet die HSBA nicht nur Unterstützung in Form von Beratung zu aufenthaltsrechtlichen Fragen oder Hilfe bei der Jobsuche bei einem unserer Partnerunternehmen, sondern auch ein Vollstipendium für unseren internationalen Master-Studiengang Innovation Management. Studiengangsleiter ist Prof. Dr. Max Johns.