Die Börsen sind nervös. Hat das in erster Linie mit dem ungewissen Ausgang der US-Wahlen zu tun?
Scholz: Ich denke nicht. Wahljahre sind statistisch gesehen eigentlich gute Jahre und normalerweise steht die Börse rund um die Wahl in den Startlöchern für eine Jahresendrally. Die Nervosität rührt im Moment sehr viel mehr von der Corona-Pandemie her. Die Börsen hatten im Sommer die Gefahr einer neuen Welle unterschätzt und das kommt nun zum Tragen.
Wie entscheidend ist die Frage, ob der nächste US-Präsident ein Republikaner oder ein Demokrat sein wird bzw. die Tatsache, dass ein klares Ergebnis möglicherweise angezweifelt wird?
Scholz: Wenn man den Umfragen glauben darf, haben die Demokraten aktuell die etwas besseren Chancen, aber die Wall Street passt sich mittelfristig immer an, egal welcher der beiden Kandidaten sich durchsetzt. Überraschend könnte nur Präsident Trumps Reaktion auf eine Niederlage sein. Vor einer chaotischen Nachwahlphase haben die Börsen sicherlich ein wenig Angst. Nicht vergessen darf man, dass auch die Sitze im Repräsentantenhaus und teilweise im Senat neu gewählt werden. Für die Innenpolitik ist es sehr wichtig auch hier Mehrheiten zu erzielen, weil sonst das Regieren sehr zäh ist. Bei der Wahl kommt es also nicht nur auf den Präsidenten an, das darf man nicht vergessen!
Finanzexperten denken doch gerne in Szenarien: Welche (langfristigen) Szenarien sind vorstellbar für den Fall, dass Trump Präsident bleibt bzw. für den Fall, dass Biden gewählt wird?
Scholz: Im Moment passt sich die Wall Street an die Vorhersagen an. Grundsätzlich war Trump an der Börse nicht unbeliebt, allein weil er stark dereguliert hat und die Steuern senkte. Biden hingegen hat mit Plänen zu Steuererhöhungen die Anleger verschreckt. Es zeichnet sich aber ab, dass Biden kompromissbereiter ist als gedacht und man zweifelt Trumps Leadership-Fähigkeiten in der Corona-Krise an. Daher wird jetzt wohl Biden an der Wall Street stärker favorisiert. Ganz grundsätzlich hat die Wall Street unter Obama und Clinton besser performt als unter Bush. Zur Halbzeit bei Trump steht ein durchschnittliches Ergebnis. Demokraten waren in den letzten Jahrzehnten für die Börsen also alles andere als schlecht.
Gibt es Marktsegmente, die voraussichtlich besonders stark betroffen sein werden?
Scholz: Unter Präsident Trump haben die klassischen Industrien wie Öl- und Rüstungsindustrie aber auch der High-Tech Sektor wohl bessere Karten. Biden zögert zwar etwas, sich zu einem klaren Green New Deal zu positionieren; dennoch dürfte unter seiner Präsidentschaft insbesondere der Sektor der nachhaltigen Energien gewinnen. Außerdem dürften Infrastruktur-Aktien gewinnen, sollte er seine Wahlversprechen einlösen.
Nachhaltige Geldanlagen sind gerade sehr begehrt. Wird das Thema unabhängig vom Wahlausgang weiter an Fahrt aufnehmen?
Scholz: Ja, nachhaltige Investments sind ein Megatrend und es gibt hier sicher einige Perlen, die sich für ein langfristiges Depot lohnen. Stock Picking ist jedoch schwierig, weil es oft schwer abzuschätzen ist, welche Technologien sich durchsetzen. Mit einem ETF lässt sich aber gut in den Nachhaltigkeitstrend investieren, wenn man sich die Einzelauswahl nicht zutraut oder sie schlicht zu riskant ist. Ich würde mich hier auch nicht auf die USA beschränken. Neben der Digitalisierung ist das ein globaler Trend.
Wie schätzen Sie den kurzfristigen und langfristigen Einfluss auf die Währungsmärkte? Wird der US-Dollar aufgewertet, wenn Trump gewinnt? Und welche Folgen hätte dies für die deutsche Wirtschaft?
Scholz: Der Hauptreiber für die Wirtschaft und damit die Währungsmärkte wird die Reaktion auf die Corona-Pandemie sein. Ich traue Biden grundsätzlich eine bessere Strategie zu als Trump. Allerdings reagieren die Europäer aus meiner Sicht schlecht auf die Krise. Daher sehe ich, ein gutes Krisenmanagement von Biden vorausgesetzt, eher einen stärkeren Dollar unter Biden als unter Trump.
Glauben Sie, dass es zu einem Crash an den Börsen kommen wird? Und wie kann man sich als (deutscher) Anleger gut positionieren?
Scholz: Tatsächlich könnte es zu einem Marktcrash kommen, aber ich denke nicht wegen der Wahl. Es sei denn es gibt nachhaltige Streitigkeiten wegen des Wahlausgangs. Bisher haben die Börsen aber nur sehr kurz wegen der Corona-Pandemie gezuckt, um dann rasch auf alte Höchststände zurück zu kehren. Das macht mir schon den ganzen Sommer Unbehagen. Je nachdem wie heftig die zweite Welle ausfällt und wie hart die Maßnahmen sind, wird das erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Aktivität haben und damit auch auf die Börsen. Sollte aus der V-Erholung ein breites U werden wird das sicher auf die Kurse durchschlagen und im schlimmsten Fall einen Crash auslösen. Das was die Politiker aktuell versuchen ist ein Experiment am offenen Herzen. Und leider machen sie es aus meiner Sicht nicht gut: Aus Profilierungssucht werden ganze Wirtschaftszweige abgewrackt. Es wird zu leicht vergessen, was unsere Entwicklung in den letzten Jahrzehnten getragen hat und wir geben das viel zu bereitwillig auf.